Die Welt wächst, wir schrumpfen: Exklusives Interview mit Folker Hellmeyer

2. November 2024

Folker Hellmeyer gilt als einer der profiliertesten Analysten Deutschlands. Im exklusiven Interview mit Aurimentum spricht der renommierte Finanzexperte über die wirtschaftliche Lage in Deutschland, aktuelle Risiken für die globalen Märkte sowie seine Erwartungen an den Goldpreis vor dem Hintergrund gegenwärtiger Krisenherde.

Herr Hellmeyer, die deutsche Wirtschaft zeigt derzeit gemischte Signale. Während einige Branchen Jobs schaffen können, kämpfen andere – besonders die Automobilindustrie – mit enormen Herausforderungen. Wie beurteilen Sie unsere momentane konjunkturelle Verfassung?

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer der größten Krisen seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Das lässt sich daran festmachen, dass sich andere westliche Länder trotz fraglos herausfordernden Bedingungen markant besser schlagen als wir – unter ihnen die USA, das UK, Japan, Spanien oder Italien. Auf den Punkt gebracht: Die Welt wächst in den Jahren 2023 und 2024 voraussichtlich um 6,4 %. In diesem Zeitraum verliert Deutschland 0,4 %. Dieser Status hängt mit Politikfehlern in den letzten 14 Jahren zusammen. Die aktuelle Regierung hat die Lage massiv durch die Energiepolitik verschärft. Die Rahmendaten sind insbesondere für den uns tragenden industriellen Sektor (circa 28 % des BIP) nicht konkurrenzfähig, Unternehmen wandern zunehmend ab oder scheitern. Da hilft auch nicht eine starke Tourismusbranche. Sie kann das nicht auffangen.

Glauben Sie, dass wir in Deutschland eine lange wirtschaftliche Krise erleben werden? Was bedeutet das für die künftige Arbeitsplatzsituation in Deutschland?

Wir haben bereits die längste Krise in unserer seit 1949 andauernden Geschichte. Nur wenn durch massive Strukturreformen die Rahmendaten so gestaltet werden, dass internationale Konkurrenzfähigkeit wiederhergestellt wird, kann sich das Blatt nachhaltig wenden. Zudem muss das Vertrauen der Wirtschaft, das so zerrüttet wie nie zuvor ist, wieder hergestellt werden. Das wird Zeit brauchen. Eine schnelle Kehrtwende ist nahezu ausgeschlossen. Die Arbeitslosenquote geht seit Mai 2022 von 5 % derzeit auf 6 % hoch. Weitere Anstiege sind zunächst wahrscheinlich.

„Wir brauchen eine umfassende Kehrtwende.“

Was muss getan werden damit Deutschland wieder konkurrenzfähig wird, um eine langfristige Krise zu vermeiden?

Wir brauchen eine umfassende Kehrtwende in vielen Politik- und Gesellschaftsfeldern, weil insbesondere unter Merkel nur verwaltet wurde. Das was gestaltet wurde, die Energiewende mit Rechtsbrüchen, war vollständig kontraproduktiv. Die aktuelle Regierung setzte den Fehlentwicklungen die Krone auf!

Die Notenbanken haben im September das erste Mal seit Ausbruch der Corona-Pandemie den Leitzins wieder gesenkt – und behalten sich Spielraum für weitere Senkungen vor. Wie bewerten Sie die jüngsten Zinssenkungen der Notenbanken?

Die Zinssenkungen waren und bleiben überfällig. In der Eurozone lag der positive Realzins (Zins abzüglich der Verbraucherpreise) vor Beginn der Zinssenkungen bei 1,75 %. Das war viel zu restriktiv. Aktuell liegt der positive Realzins bei 1,45 % trotz Zinssenkungen um 0,85 % seit Juni 2024. Das Ziel liegt bei einem positiven Realzins von 0,50 % -1,00 %. In den USA ist der Realzins trotz der aktuellen Senkung bei circa 2,3 %. Weitere Zinssenkungen stehen ins Haus, es sei denn die Geopolitik macht uns durch Kriege einen Strich durch die Rechnung.

Was bedeuten die Zinssenkungen für den Goldpreis?

Sie wirken unterstützend aus zwei Gründen. Je weniger Zinsattraktivität Anlagen in Währungen haben, desto positiver für das zinslose Gold. Sinken Zinsen wegen Wirtschaftsschwäche oder anderer Probleme verstärkt das den Versicherungscharakter, den Gold aufweist. Es kommt derzeit ein dritter Aspekt dazu: Der Globale Süden emanzipiert sich immer stärker vom Westen, insbesondere von den USA. Das geht zu Lasten des US-Dollar und wirkt unterschwellig zu Gunsten von Gold – der Währung ohne Fehl und Tadel!

Zinssenkungen sind auch in den USA ein zentrales Thema. Das Land der Superlative befindet sich ebenfalls in einer schwierigen konjunkturellen Lage – sehen Sie darin ein besonders starkes Risiko für die globale Wirtschaft?

Ja, es stellt ein signifikantes Risiko dar. Die USA sind die zweitgrößte Volkswirtschaft hinter China auf Basis der Kaufkraftparität. Entscheidender ist aber der Globale Süden, die Welt ex Westen. Sie steht für circa 70 % des Welt-BIP und wächst mit mehr als 4 %. Ergo sehen Sie mich relativ entspannt.

70 % des Welt-BIP entfallen auf den Globalen Süden, der sich zunehmend vom Westen emanzipiert – das schwächt den US-Dollar und stärkt Gold als stabile Währung.

Donald Trump oder Kamala Harris? Am 5. November blickt die Welt gespannt auf die US-Wahl: Welche geopolitischen Auswirkungen erwarten Sie je nach Wahlausgang in den USA – insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung für Deutschland?

In beiden Fällen wird es für uns nicht einfacher. Unter Biden lief eine verbal schwache, aber trotzdem klar definierte „America first“ Politik, unter anderem mit dem WTO-widrigen IRA-Programm (Anreize zur Reindustrialisierung der USA zu Lasten Europas und Taiwans). In beiden Fällen wird sich das fortsetzen, so viel zu „Freunden“. Unter Trump besteht die Hoffnung auf ein Ende des Ukraine-Kriegs. Das wäre gut für Europa!

„Ich wünsche der Welt mehr Mut zu Diplomatie.“

Zwar ist der Ausgang der US-Wahl noch ungewiss, sicher ist aber, dass der Präsident oder die Präsidentin sich mit geopolitischen Konflikten auseinander setzen muss. Der Krieg in der Ukraine, die Spannungen zwischen China und Taiwan oder Nahost – welcher Konflikt stellt Ihrer Meinung nach die größte Gefahr für die globalen Märkte dar?

Taiwan sehe ich zunächst als weniger virulent an. Der Ukraine-Krieg beinhaltet das Risiko eines dritten Weltkriegs. Er ist das Primärrisiko. Der Nahost-Konflikt kann bei einer Ausweitung andererseits zu massiven weltwirtschaftlichen Verwerfungen führen. Ich wünsche der Welt mehr Mut zu Diplomatie und zu der Stärke auch eigene Fehler erkennen zu können. Das ebent den Weg zur Diplomatie.

Zum Abschluss, was sind Ihre Erwartungen an den Goldpreis im Laufe der nächsten 12 Monate?

Ich bleibe im Bullenlager, dort bin ich seit 2001 und fühle mich gut aufgehoben! Wie sagte John Pierpont Morgan so treffend: Gold ist das einzige Geld. Er hatte und er hat recht!

Über Folker Hellmeyer (Chefvolkswirt der Netfonds AG)

Der gelernte Bankfachwirt war ab 1984 für große und internationale Banken tätig und ist gefragter Finanzexperte bei Fernsehsendern. Folker Hellmeyer klärt in seinen Vorträgen über die komplexen Strukturen des Finanzsystems auf. Er berichtet verständlich und kompakt über neueste Entwicklungen in der Finanz- und Wirtschaftswelt und analysiert aktuelle Trends.

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